Die Herkunft der Indoeuropäer - neuere Befunde und Erkenntnisse
Karl-von-Frisch-Vortrag von Dr. Hepp am 19.11.2015
Wie ist die frühgeschichtliche Ausbreitung der heutigen Europäer verlaufen? Diese Frage stellte der stellvertretende Schulleiter des Karl-von-Frisch-Gymnasiums, Studiendirektor Dr. Michael Hepp, am 19.11.2015 beim Karl-von-Frisch-Vortrag in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Sein genaues Thema lautete: „Die Herkunft der Indoeuropäer – neuere Befunde und Erkenntnisse“. Es stellt einen Teilbereich seiner berufsbegleitend erstellten Doktorarbeit dar, deren wesentliche Ergebnisse er einer großen Zuhörerschaft am Vorabend des Geburtstags unseres Namensgebers Karl von Frisch in gut verständlicher Art und Weise präsentierte.
Dr. Hepp verknüpft Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen, um sich interdisziplinär der Beantwortung der oben genannten Frage zu nähern. Vergleichende linguistische und archäologische Belege fließen dabei genauso mit ein wie Grundlagen der Genetik und kulturgeschichtliche Befunde – hier insbesondere die Kettentänze, deren Schrittmuster er in seiner Doktorarbeit analysiert und verglichen hat.
Dass alle indoeuropäischen Sprachen von Indien bis Skandinavien einen gemeinsamen Ursprung haben, lässt sich sprachwissenschaftlich bereits exemplarisch an dem Wort „drei“ zeigen. Aus einer Analyse des Wortschatzes lässt sich des Weiteren folgern, dass die Indoeuropäer eher patriarchal organisierte Halbnomaden waren, die schon das Rad und den Wagen kannten. Unstrittig ist im Rahmen der archäologischen Forschung eine räumliche Entstehung der Landwirtschaft im Nahen Osten („fruchtbarer Halbmond“) mit der Kultivierung von Einkorn, Emmer, Erbse, Linse, Lein sowie mit der Viehhaltung (Ziege, Schaf, Rind, Schwein).
Die Anatolienhypothese für die Ausbreitung der Indoeuropäer geht davon aus, dass die Urindoeuropäer identisch sind mit den frühen Hirten und Bauern des fruchtbaren Halbmondes und dass diese ihre Sprache im Zuge der Expansion der frühen Landwirtschaft ausgebreitet haben. Dagegen steht die Steppenhypothese, die die Urheimat der Indoeuropäer in der südrussischen Steppe verortet, von wo sie sich (sichtbar an den Kurgan-Grabhügeln) nach Westen verbreiteten – getragen durch eine militärisch und technologisch überlegene Elite.
Während die Anatolienhypothese eine Ausbreitung der indoeuropäischen Ursprache ab 7500 bis 6000 v. Chr. nahelegt, erfolgte nach der Steppenhypothese eine Ausbreitung erst ab 4000 v. Chr. durch die Kurgan-Kulturen. Neuere statistische Forschungen aus der vergleichenden Linguistik gehen von einer Ausbreitung ab 6500 v. Chr. aus.
Die Genetiker versuchen indessen, mithilfe der Erbsubstanz Belege für Ausbreitungswege zu finden. Bei der Zellteilung treten über die Zeit immer wieder Mutationen auf, die dann weitervererbt werden. Je weniger Übereinstimmungen der DNA zwischen verschiedenen Personen bestehen, desto älter ist der gemeinsame Vorfahr. In den vergangenen 30 Jahren gab es verschiedene genetische Befunde, die allerdings aus heutiger Sicht zu falschen Erkenntnissen geführt haben. Aktuelle Ergebnisse aus Kern-DNA-Untersuchungen zeigen, dass die heutigen Europäer eine Mischung aus drei Komponenten sind. Ein großer Anteil der Gene geht auf die frühen Neolithiker aus dem fruchtbaren Halbmond zurück, ein kleiner Teil auf die Vermischung mit den vormaligen Jägern und Sammlern und eine dritte Komponente stammt offensichtlich von den Yamnaya-Hirten (Nachfolgern der Kurgan-Kultur) aus der Steppe Südrusslands. Bezogen auf das heutige Europa ergibt sich insgesamt folgendes Bild: Je weiter nördlich dort einheimische Menschen leben, desto geringer ist der genetische Eintrag der Neolithiker, aber umso mehr Yamnaya-Anteil weisen sie in ihren Genen auf. Bei Südeuropäern ist das Verhältnis genau umgekehrt. Der Anteil der Jäger und Sammler liegt relativ konstant bei allen Europäern zwischen 10 % und 15 %.
Die von Dr. Hepp selbst untersuchten Kettentänze haben ihre Entstehung in einer Kernzone im Nahen Osten und haben sich von dort verbreitet, was sich in den frühen Darstellungen dieser Tänze widerspiegelt. Schrittmusteranalysen zeigen zudem, dass sich die Kettentänze sehr homogen über ganz Europa und den Nahen Osten ausgebreitet haben. Vorhandene Substratwörter wie „Chor“ oder „Ball“ unterstützen diese Erkenntnis, da sie sich mit der Erstausbreitung der Bevölkerung im frühen Neolithikum verbreiteten und dann bis heute in den jeweiligen Sprachen verblieben.
Zusammengefasst kann in der Steppenhypothese die Yamnaya-Kultur als Ausgangskultur für die indoeuropäischen Sprachen bezeichnet werden, während die Anatolien-Neolithikum-Hypothese die heutige Türkei als Ausgangspunkt für die indoeuropäischen Sprachen betrachtet. Die Urheimat der Indoeuropäer ist in jedem Fall neolithisches Kerngebiet, da auch ein großer Teil der Vorfahren der Yamnaya-Hirten von dort stammt, wie genetische Vergleiche zeigen. In der Gesamtbetrachtung aller Befunde zeigt sich Dr. Hepp deswegen von der Anatolien-Neolithikum-Hypothese mehr überzeugt. Diese Fragestellung ist aber nach wie vor eine noch nicht abschließend geklärte wissenschaftliche Aufgabe.
Wir danken Herrn Dr. Hepp herzlich für seinen gelungenen Karl-von-Frisch-Vortrag, der diesmal aus der Mitte der Schule kam und die Verbindung von Schule und Wissenschaft aufzeigte.