Domestikation: Die Entstehung der Tierhaltung - eine unendliche Geschichte
20. Karl-von-Frisch-Vortrag von Prof. Uerpmann am 20.11.2014
Die Domestikation bislang wild lebender Tiere bedeutete mehr Freiheit des Menschen und den Beginn eines neuen Abschnitts in der Menschheitsgeschichte, nämlich den Übergang zwischen dem Paläolithikum und dem Neolithikum. So wurde gleich zu Beginn klar, wie „epochal“ das Thema des diesjährigen Vortrags zum Geburtstag unseres Schulnamensgebers war. Prof. Uerpmann von der Abteilung für Archäozoologie des „Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters“ der Universität Tübingen zeigte sich als promovierter Tiermediziner und Ur- und Frühgeschichtler als erwiesener Experte, zumal die Frage der Domestikation sein Hauptforschungsthema ist.
Bei der Domestikation wird eine Unterpopulation von der ursprünglich wild lebenden Gesamtpopulation einer Tierart abgetrennt. Nun könnte man vermuten, dass dies deshalb geschah, weil die Menschen einen leichten Zugang zu den Tierprodukten haben wollten. Dies kann man aber ausschließen, weil das Rentier, das damals die Hauptnahrungsquelle der Menschen darstellte, nach der Eiszeit nicht als erstes domestiziert wurde. Hunde wurden dagegen sehr viel früher domestiziert, aber weder zum Essen (das erfolgte nur in Notfällen) noch verbreitet zum Jagen. Alle Forschungsergebnisse weisen deshalb heute darauf hin, dass die Domestikation unbewusst und zweckfrei erfolgte. Das erste Haustier war nach derzeitigem Kenntnisstand ein Wolf, der 1874 im Kesslerloch bei Schaffhausen gefunden wurde. Durch die Radiokarbondatierung konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Uerpmann feststellen, dass der Wolf, dessen DNA heute untersucht wird, vor mehr als 14.000 Jahren gelebt haben musste.
In der Domestikation wachse die Variabilität einer Tierart sehr stark an. Dieser Zusammenhang gelte für alle Tierarten, egal ob Hund, Schaf, Ziege oder Kamel. Typisch sei in der Folge eine größenmäßig unveränderte Wildpopulation gegenüber einer deutlich verkleinerten Hauspopulation derselben Tierrasse. Durch die Entstehung von Variabilitäten könne man beweisen, dass der Hund sich von Europa aus weltweit verbreitet hat. Über die Bering-Landbrücke gelangte er in der Späteiszeit, als der Meeresspiegel im Vergleich zu heute noch 120 Meter tiefer lag, nach Nord- und relativ schnell sogar bis nach Südamerika.
Als Vorbedingung für die Domestikation wird der Klimaumschwung am Ende des Pleistozäns angenommen, durch den in verschiedenen Regionen auf unterschiedlichen Kontinenten Gräser domestiziert werden konnten: Mais in Mittelamerika, Getreidearten wie Gerste, Weizen oder Roggen im Vorderen Orient sowie Reis in China. Dieser weltweit wirkende Vorgang führte zu einer wesentlichen Veränderung der Mensch-Umwelt-Beziehung, da der Reichtum an Pflanzennahrung die Menschen unabhängiger vom Jagen machte, aber auch eine Lagerfähigkeit erforderte. Weil die Vorräte bewacht werden mussten, bestand von nun an die Notwendigkeit einer ganzjährigen Anwesenheit am Lagerplatz mit einer festen Behausung (woher auch der Name „domus“ stammt). Mit der Anlage von Vorräten wurden die Menschen also an einen festen Ort gebunden und sie mussten sesshaft werden. Somit konnten sie auch Tiere halten, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind.
Über die Jahrtausende wurden so die unterschiedlichsten Tierarten domestiziert, vom Hund übers Schaf zur Ziege, die bereits um 8.000-9.000 v. Chr. gezähmt wurde. Rind und Schwein wurden bald (ca. 1.000 bis 1.500 Jahre) nach Schaf und Ziege domestiziert, während Pferd, Esel und Kamel erst viel später, nämlich in der Eisenzeit (1.000 v. Chr.) im südlichen Arabien gebändigt wurden.
Heutzutage leben weitere Tierarten in menschlicher 'Gefangenschaft', wie z.B. Aquarienfische, Kanarienvögel oder Goldhamster. Auch diese Tiere zeigen inzwischen Veränderungen in Farbe, Wuchsform und Verhalten. Der Vorgang der Tierdomestikation ist also noch nicht abgeschlossen – er bleibt eine „unendliche Geschichte“!